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„Energieautarkes Bauen“: Experte Professor Timo Leukefeld im Interview über den Zukunftstrend

CO2-Steuer, Handwerkermangel und die nachlassende Kaufkraft von Bauherren: Diese und weitere Faktoren beeinflussen, ob in Zukunft nachhaltig gebaut wird oder Neubauten zu gestrandetem Anlagevermögen werden. Doch was hat das mit energieautarker Bauweise zu tun und warum wird es immer wichtiger, autark zu werden? Energieexperte Professor Timo Leukefeld hat uns diese und andere Fragen im Interview beantwortet.

Ob Neubau oder Sanierung, Professor Timo Leukefeld berät seine Kunden bei ihren energieautarken Bauvorhaben. Seine Kernzielgruppe sind Bauherren von Mehrfamilienhäusern oder Gewerbeobjekten. Neben seiner Tätigkeit als Energieexperte arbeitet er am Zukunftsinstitut und hat bei seiner Arbeit die Bautrends der Zukunft immer im Blick. Im G-Pulse Interview verrät er uns, warum sich das energieautarke Bauen bereits heute lohnt und klärt auf, was sich hinter diesem noch recht neuen Begriff wirklich verbirgt.

Energieautarkes Bauen, Timo Leukefeld

G-Pulse Redaktion: Professor Leukefeld, ab wann ist ein Haus energieautark und wie funktioniert ein energieautarkes Haus?

Professor Leukefeld: Für den Begriff „energieautarkes Haus“ gibt es keine feste Definition. Umgangssprachlich sind damit Gebäude gemeint, die sich im Bereich Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom und Elektromobilität zum größten Teil selbst mit Sonnenenergie versorgen. Es gibt eine Definition vom Sonnenhaus-Institut, das sogenannte „Sonnenhaus Autark“ – dort ist vorgeschrieben, dass mindestens 50 Prozent des Energieverbrauchs für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom real und nicht bilanziell durch Sonnenenergie gedeckt werden muss. Der Autarkiegrad gibt an, wie unabhängig man vom städtischen Stromnetz ist. Ein Autarkiegrad von 100 Prozent rechnet sich hierzulande nicht. Ab 70 Prozent Autarkie sprechen wir Ingenieure vom abnehmenden Grenznutzen.

Das heißt, die letzten 30 Prozent Autarkie sind in der Investition genauso teuer wie die ersten 70 Prozent. Es ist sinnvoller im Bereich zwischen 50 und 70 Prozent Gesamtautarkie über Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom zu bleiben. Dieser Wert verbirgt sich hinter dem Begriff „energieautarkes Gebäude“. Das bedeutet, dass man sich von Anfang März bis in den November hinein zu 100 Prozent unabhängig mit Sonnenenergie versorgen kann und im Dezember und Januar die Energie größtenteils dazukauft.

Zu Ihrer Frage, wie energieautarke Häuser funktionieren: Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Zunächst kommt es auf die Hauptheizung an. Wenn man in Richtung Strom, also Elektroheizung geht, was der große Trend ist, entweder mit einer Wärmepumpe oder einer Infrarotheizung, dann ist es in der Regel so, dass man eine große Photovoltaik-Anlage, also eine Solarstromanlage mit Batterie installiert. Tagsüber erntet man dann die Energie, die man benötig, um in der Nacht zurechtzukommen. In der Regel wird hierfür auf der Südseite des Daches die Solarstromanlage montiert. Ansonsten sollte man sein Gebäude bei der Planung möglichst nach Süden ausrichten. Wenige Dachfenster und eine gut dämmende Gebäudehülle sind ebenfalls wichtig – mindestens KfW 55 Standard oder besser. Dann ist der Bedarf an Heizenergie reduziert und Sie können mit der Solaranlage umso unabhängiger werden. Übrigens, auch mit Smart-Home-Anwendungen können Sie Energie einsparen, indem Sie zum Beispiel Ihre Heizung ja nach individuellem Bedarf regulieren.

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Energieautarkes Haus mit Solaranlage
Energieverbrauch und -einsparung werden beim Neubau und der Modernisierung von Bestandsgebäuden immer wichtiger. Quelle: iStock

G-Pulse Redaktion: Inwiefern spielt das Dach eine Rolle und können Sie unseren Lesern konkrete Dacharten empfehlen?

Professor Leukefeld: Ein Flachdach gemäß dem Bauhausstil ist sehr ungünstig. Mehrfamilienhäuser werden gerne mit einem Flachdach gebaut, um die maximale Bauhöhe auszunutzen. Da ist weniger der Bauhausgedanke die treibende Kraft als der mögliche Profit. Ein Flachdach ist für die Sonnenergienutzung die ungünstigste Art und Weise, weil die Sonne im Winter tief steht und die Module angewinkelt werden müssen.Die benötigte Höhe, die sich ergibt, mal vier, wäre der Abstand zwischen den Reihen, um sich nicht gegenseitig zu verschatten. Das heißt, man hat ein großes Dach, kann aber nicht die ganze Fläche nutzen. Fazit: Mit einem Flachdach kann man keine hohen Autarkiequoten erreichen. Viel besser geeignet sind Pult- oder Satteldächer.

G-Pulse Redaktion: Mit welchen Kosten muss man beim energieautarken Bauen rechnen bzw. unterscheiden sich die Kosten von einem „herkömmlichen“ Neubau?

Professor Leukefeld: Das ist eine komplexe Frage. Hier müsste ich etwas ausholen, deshalb versuche ich, Ihnen im Rahmen des Interviews eine etwas vereinfachtere Erklärung zu geben: Zunächst einmal sollten wir uns die Frage stellen, was ist ein „herkömmlicher“ Neubau eigentlich? Die günstigste Variante ohne Keller? Neben der Ausstattung des zukünftigen Eigenheims sollte man sich auch mit Trends auseinandersetzen. Ich arbeite auch im Zukunftsinstitut und da geht es um die Trendforschung und es gibt seit einem Jahr einen Begriff, der sich „gestrandetes Anlagevermögen“ nennt. Viele Bauherren wissen gar nicht, dass sie dieses gestrandete Anlagevermögen besitzen. Oder besser gesagt, sie sind sich nicht bewusst, dass sie vorhaben, dieses zu bauen. Unter gestrandetem Anlagevermögen versteht sich eine Bauweise, die Aufgrund von verschiedenen Faktoren in der Zukunft nicht mehr rentabel ist. Es gibt drei maßgebliche Faktoren mit denen Bauherren kalkulieren müssen, wenn sie ein Bauvorhaben planen:

  • Erstens, die CO2-Steuer: Es wird alles brutal besteuert – das Auto, die Heizung, der Haushaltsstrom. Auf die Bauherren werden immense Kosten zukommen, wenn sie weiterhin viel CO2 ausstoßen und in der Regel machen sie das mit den heutigen Standardhäusern.

  • Zweitens erwartet uns ein akuter Handwerkermangel. Dennoch besteht der Wunsch, möglichst viel Technik in den Häusern zu verbauen zum Beispiel eine Wärmepumpe, eine Fußbodenheizung, zentrale Warmwasserbereitung mit Zirkulationsleitungen, ein BUS-System oder eine zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Der Einbau von sehr viel Haustechnik wird auch durch die Fördermittel vorangetrieben. Wir haben aber in Zukunft kaum noch Handwerker. Wenn dann in 10 Jahren zu Stundenpreisen von 250 Euro. Ergo, Wartung und Reparaturkosten werden explodieren, es sei denn man ist selbst Handwerker.

  • Drittens: Die Kaufkraft lässt nach – alles wird teurer. Strom, Benzin, Heizung man muss Kredite zurückzahlen – Themen, mit denen man sich als Bauherr auseinandersetzen sollte. Ich habe das mal berechnet:

Collage Timo Leukefeld Energieautark
„Berücksichtigt man die drei Faktoren, kommt man mit einer endtechnisierten, autarken Bauweise sogar günstiger davon." Energieexperte Professor Timo Leukefeld. Bildquelle: Burkhard Peter

G-Pulse Redaktion: Was würden Sie also unseren Lesern raten, wenn sie energieautark bauen möchten?

Professor Leukefeld: Ich würde versuchen, ein autarkes Haus im Bereich zwischen 50 bis 70 Prozent zu bauen. Immer im Bereich Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom und Auto – das heißt, ein Elektroauto und eine Ladesäule gehören dazu. Im Übrigen ist man, wenn man eine eigene Ladesäule hat, die vom eigenen Strom versorgt wird, mit dem Auto fast das ganze Jahr hindurch zum Nulltarif unterwegs. Man lädt in zehn von zwölf Monaten nur kostenlosen Solarstrom und hat zudem sieben Jahre Steuerfreiheit bei niedrigsten Leasingraten. Daher empfehle ich Ihnen, sich in den Bereichen, in denen in Zukunft viel CO2-Steuer anfällt, möglichst autark zu werden und außerdem weitestgehend zu endtechnisieren.

Das heißt, zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung raus, Wärmepumpe raus, Fußbodenheizung raus und eine Infrarotheizung rein. Dann werden nur noch Kabel im Haus verlegt. Die Infrarotheizung ist meistens an der Decke, es ist eine Strahlungsheizung, wie das Lagerfeuer, der Kachelofen oder die Sonne und die Heizung ist für 30 Jahre wartungsfrei. Da sparen Sie eine Menge. Ergänzen würde ich das Konzept im Neubau Einfamilienhaus immer mit einem schönen Kaminofen. Erstens wegen des Wohlbefindens: Es macht Spaß, wenn der Ofen knistert und flackert, und es gibt eine wohlige Wärme. Zweitens kann man mit so einem Ofen den Autarkiegrad selbst steuern. Wenn man bereit ist, im Winter ab und zu mal ein bisschen Holz anzulegen, steigen Sie sofort im Autarkiegrad an – und es ist die einzige Heizungsart, die bei einem Stromausfall weiterbetrieben werden kann.

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Nachhaltige und energieeffiziente Lösung mit Gemütlichkeitsfaktor. Quelle: Michael Bader

G-Pulse Redaktion: Und wie siehts bei einem Bestandshaus aus? Würde es sich lohnen, auf Elektroheizung in Kombination mit einer Photovoltaik-Anlage und Batterie umzusteigen?

Professor Leukefeld: Der Bestand ist immer eine Einzelfallentscheidung. Da spielt auch der Gesamtzustand des Gebäudes eine Rolle. Der Zustand des Daches, der Heizung, des Gesamtverbrauchs. Eine Photovoltaik-Anlage würde ich nur dann empfehlen, wenn die Dachfläche ausreichend ist. Wenn man das Gebäude vollständig energetisch sanieren kann, dann würde ich wahrscheinlich auch auf Infrarot umrüsten, da die Flüssigkeitsheizungen langfristig keine Zukunft haben. Durch bessere Gebäudehüllen und den Klimawandel verliert das Heizen in den nächsten 30 Jahren einfach immer mehr an Bedeutung. In der Modernisierung ist es sehr einfach, da man nichts aufstemmen muss. Ihnen muss klar sein, dass Sie den größten Teil des Stroms selbst erzeugen möchten. Und im Einfamilienhaus empfehle ich Ihnen aus den oben genannten Gründen, sowieso immer einen Kaminofen einbauen zu lassen.

G-Pulse Redaktion: Welche guten Beispiele für energieautarke Wohn- oder Fertighäuser gibt es aus Ihrer Sicht bereits?

Professor Leukefeld: Es gibt vereinzelt Häuser, die einen Autarkiegrad von 100 Prozent erreichen. Die Bauherren sind in diesem Fall sehr technikaffin. Dann muss das Haus aber auch einen harten Winter überstehen können und dafür müssen so viele zusätzliche Reserven ins Haus eingebaut werden, dass das Haus praktisch unbezahlbar wird. Wenn dann mal Technik kaputt geht, sitzen Sie trotzdem ohne Heizung und im Dunkeln da. Sonst gibt es wenig Beispiele von hochautarken Häusern. Die Firma Helma, für die wir diese Häuser entwickelt haben, sind absoluter Vorreiter auf dem Gebiet. Autarke Mehrfamilienhäuser, die zwischen 40 und 50 Prozent erreichen, bieten bereits viele an. Eine Wärmepumpe und Photovoltaikanlage mit Batterie sind mittlerweile guter Standard bei vielen Fertighausherstellern. Wenn man mehr möchte, dann muss man sich individuell beraten lassen. Aber egal, ob Neubau oder Altbau, Sie sollten immer versuchen, so viel wie möglich auf dem Dach zu installieren. Zwischen zehn und zwanzig Kilowatt-Peak sollte die Anlage an Leistung erbringen. Dann hat man die Chance, in Richtung 60 bis 70 Prozent Autarkiequote zu kommen.

G-Pulse Redaktion: Was denken Sie: Werden wir in der Zukunft alle energieautark leben und wann kann es so weit sein?

Professor Leukefeld: Ich denke, das ist nicht im Interesse der Regierung und der Konzerne. Im Sommer wäre dies möglich. Die große Frage ist jedoch, wo kommt die Energie im Winter her? Wenn einerseits Kohlestrom abgeschafft wird und wir abhängig von unseren Nachbarn sind, ist eine weitere große Frage, wie lange wir dann von denen noch beliefert werden? Eine mögliche Lösung für die Wintermonate wäre hier zum Beispiel der Einbau eines Kaminofens oder in ferner Zukunft dann der solare Wasserstoff.

G-Pulse Redaktion: Was kommt danach? In was für Häusern und Wohnungen werden wir in Zukunft leben?

Professor Leukefeld: Der Trend geht in Richtung Tiny House, Mieten werden steigen und Grundstücke werden teurer. Zudem wird die Kaufkraft der Bauherren ja nachlassen. Mit wenig Budget ist ein kleineres Haus eine mögliche Lösung. Oder die Mieter bleiben in Mietwohnungen, wohnen dort aber zu einem Festpreis inklusive Energiekosten. Es kommt auch darauf an, wie sich das Klima verändert. Wenn es milder wird, dann verliert das Heizen an Bedeutung und das Kühlen spielt viel mehr eine Rolle. Hier müsste man dann beim Neubau weg von der Styropor-Dämmung hin zu einer monolithischen Bauweise: dicke Wände aus Ziegeln wie sie beispielsweise bei den Kirchen vorkommen. Dadurch bleibt es im Sommer angenehm kühl. Ein weiterer Trend ist die Endtechnisierung in Kombination mit schweren Gebäudehüllen, um sich dem Klima anzupassen. Das Ganze kann dann mit Smart-Home-Technologie gesteuert werden, aber die Grundhaustechnik muss viel reduzierter und einfacher sein.

G-Pulse Redaktion: Zu guter Letzt, was möchten Sie unseren Lesern noch auf den Weg geben?

Professor Leukefeld: Sollten Sie tatsächlich mit Ihrem Wohnobjekt möglichst energieunabhängig werden wollen, egal ob Mietshaus, Neubau oder Bestandimmobilie, ist es in jedem Fall wichtig, sich zuerst eine genaue Roadmap zu erstellen. Das heißt, planen Sie ganz genau, wo die Reise hingehen soll. Beginnen Sie auf keinen Fall mit einzelnen ungezielten Maßnahmen, denn das könnte zum Schluss teurer werden und nicht den erhofften Erfolg bringen. Wichtig ist auch eine gute Beratung. Holen Sie gerne mehrere Meinungen ein und informieren Sie sich zusätzlich. Viele Energieberater sind mit den Produkt-Herstellern verbandelt und beraten Sie nicht immer zu Ihrem persönlichen Vorteil.

Professor Leukefeld, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten.