In vier Jahrzehnten hat David Alan Chipperfield mehr als 100 Bauwerke entworfen und realisiert. Für seine Arbeit, die laut Pritzker-Preis-Jury von „Eleganz, Zurückhaltung, Beständigkeit sowie klaren Kompositionen und raffinierten Details” geprägt ist, wurde der britische Ausnahmearchitekt nun mit dem Pritzker-Preis 2023 geehrt.
David Alan Chipperfield wurde 1953 in London geboren und wuchs auf einer Farm im Südwesten Englands auf. Er besuchte die Kingston School of Art und erwarb 1980 sein Architekturdiplom an der Architectural Association in London. Vier Jahre später machte er sich selbstständig und gründete in der britischen Hauptstadt sein Architekturbüro David Chipperfield Architects, das heute mit Dependancen in Berlin, Shanghai, Mailand und dem spanischen Santiago de Compostela international tätig ist. Der Entwurf eines Geschäfts für den japanischen Modedesigner Issey Miyake brachte für Chipperfield den Durchbruch – erst in Japan, später auch in weiteren Ländern Asiens, in Europa und Nordamerika. Mit dem 1997 fertiggestellten River and Rowing Museum am Südufer der Themse feierte er seinen ersten großen Erfolg in seinem Heimatland. Schon damals zeichnete sich Chipperfields architektonische Handschrift ab, die von Zeitlosigkeit und unprätentiösen Visionen geprägt ist.
Während sich die Auftragsbücher füllten, wuchs Chipperfields Bewusstsein für die gesellschaftliche Rolle der Architektur. Soziale und ökologische Verantwortung flossen zunehmend in seine Planungen ein. „Architekten/-innen können nicht außerhalb der Gesellschaft agieren. Wir brauchen einen Planungsrahmen, Ambitionen und Prioritäten“, erklärt er im Rahmen seiner Pritzker-Preis-Ehrung. Mit Blick auf die Klima- und Umweltkrise sei es wichtig, gesellschaftliche Prioritäten zu überdenken und Profit nicht als einzige Motivation für Entscheidungen zu sehen.
Diesem Credo folgend, sind seine minimalistischen Entwürfe frei von Prunk und mit Materialien wie Beton, Stahl und Glas auf Langlebigkeit ausgelegt. „Nachhaltigkeit eliminiert das Überflüssige“, so die Jury des Pritzker-Preises 2023 in ihrer Lobrede und führt aus: „In Zeiten exzessiver Kommerzialisierung, Übergestaltung und Übertreibung gelingt ihm immer wieder die Balance: zwischen moderner, minimalistischer Architektursprache und Ausdrucksfreiheit, zwischen abstrakter Botschaft und strenger Eleganz.“ Das zeigen auch die folgenden drei Werke des Architekten.
Klare Formen und der Verzicht auf alles Unnötige bestimmen auch bei prestigeträchtigen Großprojekten wie dem America’s Cup Building (2006) in Valencia Chipperfields Entwürfe. Das vierstöckige Betongebäude mit Elementen aus weiß lackiertem Stahl, Metallplatten und Massivholz fokussiert sich sowohl funktional als auch optisch auf das Wesentliche.
Wie sich modernes Design in die ursprüngliche Umgebung einfügen kann, verdeutlicht The Bryant (2021) in New York City. Umgeben von historischen Gebäuden beherbergt das 32-stöckige Hochhaus ein Hotel, Privatwohnungen und Geschäfte. Mit dem Elbtower (2018) hat Chipperfield ein weiteres Wahrzeichen für die Hamburger Hafencity erschaffen. Als Kontrapunkt zur Elbphilharmonie ist auf 64 Etagen ein Ort zum Arbeiten, Ausgehen, Entspannen, Sportmachen und Staunen entstanden.
Immer wieder widmete sich Chipperfield auch den architektonischen Herausforderungen und Kulturen anderer Länder. Mit dem Amorepacific Headquarters (2017) in Seoul entwarf er für das koreanische Beauty-Unternehmen einen neuen Hauptsitz, der die Identität und Geschichte des Landes widerspiegelt. Hängende Gärten, ein zentraler Innenhof und die lichtdurchlässige Fassade fördern zudem auf natürliche Weise ein angenehmes Raumklima und verbessern die Umweltbilanz des Gebäudes.
Neben Wohnhäusern, Bildungseinrichtungen und Bürogebäuden gehören besonders viele Kulturbauten zum Portfolio des britischen Architekten, zum Beispiel das Museo Jumex (2013) in einem neuen Viertel von Mexiko-City und das Kunsthaus Zürich (2020).
In Deutschland hat sich Chipperfield vor allem mit der Neugestaltung der Berliner Museumsinsel einen Namen gemacht. Bei der Restaurierung des Neuen Museums (2009) wird sein feinfühliger Umgang mit historischem Material deutlich. Gegenwart und Geschichte verschmelzen auch bei dem neu erbauten Eingangsgebäude, der James-Simon-Galerie (2018). Zuletzt renovierte Chipperfield die Neue Nationalgalerie in Berlin (2021): Mit modernen Mitteln brachte er den ikonischen Bau von Ludwig Mies van der Rohe auf den neuesten Stand, ohne das ursprüngliche Erscheinungsbild zu stören.
Noch immer arbeitet der 69-Jährige an Projekten rund um den Globus. Dazu zählen derzeit die Erweiterung des Archäologischen Nationalmuseums in Athen und das neue Stadion für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand. In den vergangenen Jahren widmete sich Chipperfield außerdem intensiver der Gemeinschaft Galiciens, eine der ärmsten Regionen Spaniens. Mit der Fundación RIA unterstützt er seit 2017 Forschungsarbeiten und Ideen, die zum Schutz der natürlichen und bebauten Umwelt entlang der Küste beitragen.
Nach 40 Jahren seiner Karriere gehört David Alan Chipperfield nun zu dem Kreis internationaler Architekten/-innen, die den „Nobelpreis der Architektur“ erhalten haben. Der Pritzker-Preis 2023 vervollständigt eine lange Liste seiner bisherigen Auszeichnungen und Ehrungen wie die Riba Royal Gold Medal, den Mies van der Rohe Award und die Heinrich-Tessenow-Medaille. 2009 erhielt Chipperfield das Bundesverdienstkreuz und wurde 2010 in den britischen Adelsstand erhoben.
Der Pritzker-Preis gilt als höchste Auszeichnung der Architekturwelt und ehrt seit 1979 Architekten/-innen, die „einflussreiche Beiträge für die Menschheit und bebaute Umwelt durch die Kunst der Architektur geleistet haben“. Zu den bisherigen Gewinner/innen gehören unter anderem Norman Foster (1999), Zaha Hadid (2004) und zuletzt Francis Kéré (2022).