Sinnliche Herausforderung

Für experimentelle Innenarchitektur gibt es in Madrid keine fixe Adresse aber einen guten Namen: die Casa Decor. Die jährliche Ausstellung findet stets an wechselnden Orten statt, in letzter Zeit gerne im angesagten Stadtteil Salamanca. So auch diesmal. Die diesjährige „Casa“ ist ein Wohngebäude auf der Calle Goya 89, auf dessen großbürgerlichen Grundrissen vielfältige Räume für Designerinnen, Architekten und Unternehmen zur freien Gestaltung bereitstanden. Aus den regelmäßig spektakulären, oft skurrilen Design- und Wohnwelten stach in diesem Jahr eines besonders heraus: das Projekt Tacto Sereno, erdacht und umgesetzt vom Studio Patricia Bustos für den spanischen Keramikhersteller Bathco.

Die gesamte Gestaltung des Raums ist inspiriert von Antoni Gaudi und dem uruguayischen Architekten Eladio Dieste, der durch seine Schalenbauwerke berühmt wurde. Gerundete, geschwungene Wände aus hellen Ziegeln oder die Fassungen von Türen und Wandverkleidungen aus rohem Rattan sind vor allem eines: haptisch. Die Schöpferin dieser seltsamen Flauschwelt will uns zurückversetzen in einen Urzustand, auf das reine Fühlen von Oberflächen und Materialien. Gleichzeitig setzt sie auf das Unperfekte im Handwerk – auf die kleinen Unregelmäßigkeiten, die jedes Werkstück zum besonderen Unikat machen und es mit seinem Schöpfer und seiner Persönlichkeit verbinden.

Ganz im Sinne von Gaudi, der Architektur als integrierende, allumfassende Kunst verstanden hat, ist auch Tacto Sereno ein Gesamtkunstwerk der Eigenartigkeit. Dazu gehören auch die beiden skulpturalen Waschbecken von Bathco, die hier mitten ins Setting einer Hotelrezeption gestellt werden – mehr als Fontänen oder eigene Kunstwerke denn als Hygieneangebot. Und das Verrückte: Sie wirken nicht fehl am Platz. Ebenso wenig wie die Schalter und Steckdosen aus der Designline Gira E2 – die jedoch im Vergleich zu allem anderen eine wohltuende Geradlinigkeit mitbringen. Sie werden zu einem Ankerpunkt souveräner Normalität in einer bonbonfarbenen Phantasie – ein bisschen Gaudi, ein bisschen Barbie. Aber ein echtes Erlebnis.